Phaeton_Jurate

Eine Reise in das Land des Bernsteins – Die Legenden von Phaethon und Jurate

Unsere Reise geht weiter, diesmal ins antike Griechenland und nach Litauen. Als ich so entlang des Ostsee-Strands im weißen Sand schlenderte, fragte ich mich, ob es Legenden oder Überlieferungen in der Mythologie unserer Vorfahren zum Bernstein, diesen faszinierenden Edelstein, gibt. Denn ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass unsere Ahnen von der Romantik der winterlichen Szenerie an der baltischen Küste, vom Anblick der brechenden Wellen, die den Bernstein an den Strand spülen, unberührt blieben. Und schließlich hat der Mensch seit jeher seine Erklärungsversuche in Form von Geschichten niedergeschrieben. Darüber hinaus wurde früher geglaubt, dass so etwas Schönes, wie Edelsteine es sind, einfach aus der Hand der Götter stammen müssen. Nicht zuletzt dienten diese Geschichten aber auch dazu, Götter noch mysteriöser erscheinen zu lassen und damit deren übernatürlichen Kräfte zu rechtfertigen.

Also habe ich mich den Geschichtsschreibern der Antike zugewandt und auf die Suche nach antiken „Erklärungen“ zur Entstehung von Bernstein gemacht. Fündig bin ich in der griechischen Mythologie geworden, aber auch im hohen Norden, in einer baltischen Sage.

 

Phaethon und der Sonnenwagen

Bernstein

Bernstein

Wenden wir uns zunächst der griechischen Sage von Phaethon und seinem Verhängnis zu. Im jungen Alter prahlte Phaethon gerne Sohn des Sonnengottes Helios zu sein. Es wurde ihm aber kein Glaube geschenkt und Phaethon wandte sich hilfesuchend an seine Mutter Klymene. Diese riet ihm, um Gewissheit zu erlangen, seinen Vater in seinem Sonnenpalast aufzusuchen. Nach einer langen und hindernisreichen Reise erreichte Phaethon die prachtvolle Residenz.

„Königlich ragt‘ auf Säulen die Burg des Sonnenbeherrschers, Hell von schimmerndem Gold und feuerrotem Pyropus. Elfenbein umhüllte mit Glanz den oberen Giebel […]“

Ovid, Metamorphosen – Zweites Buch, Kapitel 8

Helios bestätigte dem jungen Phaethon sein Vater zu sein und versprach, ihm als Beweis einen Wunsch zu erfüllen. Die Gewissheit erfüllte Phaethon mit Stolz und übermütig erbat er sich einen Tag lang den Sonnenwagen ganz allein lenken zu dürfen. (Der Sonnengott Helios führte das Vierergespann jeden Tag entlang des Himmelsgewölbes, um Licht auf die Erde zu bringen.) Alle Versuche, seinen Sohn von diesem Wunsch abzubringen, waren vergebens. Als sich die Nacht dem Ende neigte, griff Phaethon zu den Zügeln und begann die tägliche Reise um die Erde. Doch sobald das Vierergespann gewahr wurde, nicht Helios als Lenker zu haben, brachen die Pferde aus, gerieten von ihrer gewohnten Bahn zwischen Himmel und Erde ab und lösten eine Katastrophe allergrößten Ausmaßes aus. Die Pferde galoppierten soweit von der Erde weg, dass der Winter einfiel und alles auf der Erde gefror.

Die Götter des Olymp waren alarmiert und richteten ihr Augenmerk auf den waghalsigen Lenker. Nach Aristoteles soll die Milchstraße auf dieser Fahrt entstanden sein.

Um seinen Kurs zu korrigieren, lenkte der unerfahrene Phaethon das Gespann in die Gegenrichtung. Diesmal kam der Sonnenwagen der Erde zu nah:

„Die Erde geht in Flammen auf, die höchsten Gipfel zuerst, tiefe Risse springen auf, und alle Feuchtigkeit versiegt. Die Wiesen brennen zu weißer Asche; die Bäume werden mitsamt ihren Blättern versengt, und das reife Korn nährt selbst die es verzehrende Flamme… Große Städte gehen mitsamt ihren Mauern unter, und die ungeheure Feuersbrunst verwandelt ganze Völker zu Asche.“

Ovid, Metamorphosen, zweites Buch, Kapitel 8

Erst Zeus – von Mutter Erde um Hilfe gerufen – bereitete dem Chaos ein Ende, indem er einen Blitz schleuderte, der Phaethon in die Tiefen des Flusses Eridanos riss. Seine Schwestern, die Heliaden, waren untröstlich und hörten nicht auf das Schicksal ihres Bruders am Flussufer zu beweinen. Aus Mitleid verwandelten die Götter sie in Pappeln und ihre Tränen verwandelten sich in Bernstein.

Doch handelt es sich bei den wunderbaren Exemplaren des Natursteins an den Stränden der Ostsee tatsächlich um die Tränen der Heliaden? Die litauische Legende um Jurate besagt etwas anderes.

 

Bernstein

Bernstein

Jurate – Göttin der Meerjungfrauen

Die Göttin der Meerjungfrauen lebte in einem wunderschönen Schloss aus Bernstein in den Tiefen der Ostsee. Sie lebte in Harmonie mit ihrer Umgebung und regierte respektvoll. Ein junger Fischer mit Namen Kastytis störte diesen Frieden, als er seine Netze in gefährlicher Nähe zu ihrem Reich auswarf. Jurate entsandte ihre Meerjungfrauen, um den jungen Fischer zu verjagen. Unbeeindruckt und unbeirrt fuhr dieser jedoch mit dem Fischen fort. Die Göttin beschloss, sich selbst um die Angelegenheit zu kümmern, verliebte sich aber in den gutaussehenden, starken und mutigen Kastytis und nahm ihn kurzerhand mit in ihr Bernsteinschloss auf dem Meeresgrund.

Als Perkunas, der Gott des Donners und in der litauischen Mythologie Vater aller Götter, von dieser unstandesgemäßen Liaison mit einem Sterblichen erfuhr, tobte er vor Wut. Er löste ein gewaltiges Gewitter aus und zerstörte das Bernsteinschloss mit einem Blitz, so dass es in tausend Stücke gerissen wurde. Der Legende nach handelt es sich bei den Bernsteinstückchen, die noch heute nach einem Sturm an die baltischen Strände gespült werden, um die Scherben des Schlosses. Andere Versionen erzählen, dass Kastytis vom wütenden Perkunas getötet wurde und dass Jurate den Tod ihres Liebhabers bis heute beweint. Demzufolge sind es ihre Tränen, die zu Bernstein gehärtet an Land gespült werden.

Für unsere Vorfahren scheint Bernstein an Tränen und unerfüllte Liebe geknüpft zu sein. Auch mich ergreift eine leise Melancholie, eine gewisse Nostalgie, die mich während meines Spaziergangs am Strand sanft einhüllt und komme zu dem Schluss, dass es den Geschichtsschreibern vergangener Tage ähnlich ergangen sein muss. Die schwermütige Natur hat sie unweigerlich dazu verleitet, Bernstein als Tränen der Götter zu verstehen.

 

 

Wenn Sie mehr über Bernstein erfahren möchten, laden wir Sie herzlich dazu ein, unseren Beitrag zur Bernsteinstraße zu lesen.

Und brechen Sie gemeinsam mit uns zur Suche nach dem Bernsteinzimmer auf …